Eine kulinarische Erinnerung zum 9. Tag des Deutschen Brotes:
„Bet’ und arbeit’! ruft die Welt,
Bete kurz! Denn Zeit ist Geld.
An die Türe pocht die Not,
Bete kurz! Denn Zeit ist Brot.“ [1]
Diese Liedstrophe stammt von Georg Herwegh (1817-1875), dem bekannten Vormärz-Dichter des 19. Jahrhunderts, der der deutschen Arbeiterbewegung sehr verbunden war. Gleich werden wir sehen, dass seine Strophe in der Corona-Krise überraschende Aktualität erlangte. Zwei Weltkriege hat die Menschheit seit seinem Leben durchgestanden, auch Dürren, Ernten, Hungersnöte, Unwetterkatastrophen und eben auch eine SARS-COV2-Pandemie.
COVID 19 scheint in Deutschland viele Menschen an längst vergangenen Brot-Mangel erinnert zu haben: Das Horten von Lebensmitteln wurde vor zirka einem Jahr zu einer wiederbelebten Phänomen – im Deutschland des 21. Jahrhunderts! Mit sichtbaren Konsequenzen: Abgepackte Lebensmittel verzeichneten eine erhöhte Nachfrage gegenüber dem Vorjahr. Mehl hatte zeitweilig ein Absatzplus um + 154 % und Backmischungen von +97% [2].
An die Türe pocht die Not: Vielfach über die e-Medien verbreitet, lassen Fotos leergekaufter Regale das Volk digital leiden: Unbeirrt horten Teile der Bevölkerung Mehl, Brot und Backmischungen jenseits objektiver Bemessungsgrundlage. Wir werden später unseren Enkeln viel zu erzählen haben. Falls wir bis dahin unsere eigenen Fragen geklärt haben: Was sagen Hamsterkäufe über den Solidaritätsgedanken einer Gesellschaft? Was ist besser: ein kleiner, gepflegter Brotvorrat im Privaten oder ein öffentlicher Nachfrageschock? Sollen wir Zeit in Geld verwandeln oder Zeit in Brot? Antworten stecken bereits im anfangs zitierten Vers von Georg Herwegh schon mit drin. „Bete kurz! Denn Zeit ist Brot’“! Also lassen Sie uns doch sinnstiftenden Tätigkeiten nachgehen. Machen Sie aus individueller Zeit Brot für die Gesellschaft. Erzählen Sie enkeltauglich, was echter Mangel an Brot wirklich bedeutet. Und dass man Brot auch teilen kann, bevor man nach dem geringsten Preis jagt. Und vielleicht genießen Sie heute noch einen frischen Brotmoment – ganz ohne Backmischung – einfach nur beim Bäcker nebenan.
[1] http://gutenberg.spiegel.de/herwegh/gedichte/kontrev/bundesli.htm [2] Statista (2020): Studie 1111026